Philipp Schmidt unterhielt sich mit unserem Gastautor CLAIR BÖTSCHI über seinen Text „Kunstförderung in Zeiten der digitalen Ökonomie."
Philipp Schmidt: In ihrem Text beschreiben sie die Praxis, dass Künstler*innen sich bei ihrer Arbeit nach den aktuell (bei den Förderinstitutionen) im Trend liegenden Themen richten, da sie so bessere Chancen auf Förderung haben – und damit bessere Chancen auf wirtschaftliches Überleben.
— Müssen wir also jede geförderte Arbeit, jedes Stipendiat*innen-Werk erstmal auf seinen freien und unabhängigen künstlerischen Ansatz hin infrage stellen, bevor wir uns dem Werk an sich widmen?
Herr Clair Bötschi: Nein. Ein Kunstwerk steht für sich und sollte erst einmal unvoreingenommen betrachtet werden, egal wie, warum und in welcher Zeit es entstanden ist. Jeder kann sich ein eigenes Urteil zutrauen. Danach kann man die Rahmenbedingungen in Augenschein nehmen und das Kunstwerk in den Kontext der Förderung stellen. Wobei man vermutlich bei der „Trend-Förder-Kunst“ das Werk gar nicht unabhängig betrachten kann. Denn zumeist springt einen die populistische Botschaft oder Antwort direkt an und es gibt gar keinen Raum für Fragen oder Ambivalenzen. Der freie und unabhängige künstlerische Ansatz ist da schon verkümmert und natürlich leidet die Relevanz der Kunst unter dieser kurzfristigen gesellschaftlichen Verwertbarkeit. Nicht nur, dass die Kunst reduziert wird auf eine Bebilderung von moralischen oder politischen Botschaften – sie muss sich auch immer schneller dem Zeitgeist anpassen, um eine scheinbare Relevanz zu simulieren und weiter Aufmerksamkeit zu bekommen. Das führt zu nichts. Deshalb ist es so wichtig, dass wir wieder mehr Förderungen schaffen, die Kunst als Grundlagenforschung begreift, ohne an die direkte Verwertbarkeit zu denken. Die Kunst braucht Raum für Entwicklung und der Diskurs darüber auch.
Sie bemängeln den anhand willkürlicher Kriterien auf vermeintliche Vergleichbarkeit hin ausgerichteten Wettbewerb um Fördergelder, weil so ein Markt erzwungen wird, wo keiner sein sollte. — Bringt dieser künstlich erschaffene Wettbewerb die Künstler*innen in wirtschaftliche und vor allem inhaltliche Abhängigkeiten gegenüber den Geldgebern? Oder geht es in der Praxis eher darum die Institutionen möglichst geschickt zu umgarnen und in blumigen Texten deren Erwartungen zu bestätigen, um dann im Nachhinein, wenn die Förderung erst mal da ist, zu machen was man eigentlich machen will?
Ich denke, es gab immer Abhängigkeiten in der Kunst, die auch im besonderen inhaltlicher Natur waren. Früher war das selbstverständlich noch offensichtlicher als heute. Die Auftraggeber wurden ersetzt durch einen künstlichen wettbewerbsorientierten Markt. Dieser wirkt erst einmal freier und autonomer, schafft aber natürlich genauso starke Abhängigkeiten und setzt einen Rahmen, der meistens nicht mehr betrachtet wird. Man ist zu beschäftigt sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen und schöne Förderprosa zu schreiben. Und tatsächlich schreiben die Kunstschaffenden, sie sind ja nicht dumm, das was verlangt wird – um ihre Kunst oder Forschung zu machen. Das ist auch gut so. Wenn wir Glück haben, kommt dann nämlich trotzdem was Gutes heraus.
Sie erhoffen sich von der Digitalisierung eine Befreiung vom Rechtfertigungsdruck in der Kunst – unterm Strich also mehr prinzipielle Anerkennung für die Wichtigkeit von Kunst und Kultur – und setzen dabei auf Algorithmen anstelle von Menschen. Das liest sich im ersten Reflex wie ein Grundeinkommen für Kulturschaffende. Kein bedingungsloses, aber doch eines ohne Wertung und Prüfung des jeweils geschaffenen Werkes im weitesten Sinn.
— Das Ziel wäre also auch hier, den ökonomischen Druck zu lindern, um mehr Freiraum zur Entwicklung zu gewähren?
Genau. Das Ziel wäre es, die Ökonomie hinter dem Fördersystem neu zu denken und damit die Bürokratie zu minimieren und die Autonomie radikal zu maximieren. Mehr Freiraum für Entwicklungen und weg vom kurzfristigen Hyperventilieren. Weg von der ganzen unnötigen Bürokratie. Weg von Evaluationen, die mit allen Mitteln versuchen, den gesellschaftlichen Nutzen herbei zu fantasieren. Die Abschaffung der Bullshit-Jobs, wie David Graeber gesagt hätte. Der Rechtfertigungsdruck würde sich verschieben, von der Finanzierung hin zum Diskurs. Denn erst einmal wäre man frei in der Kunstproduktion. Die Digitalisierung bietet hier die richtigen Mittel und kann vor allem eine Neutralität gewährleisten. Bedingungslos sollte die Förderung trotzdem nicht sein. Grenzen sind durchaus gut.
Als neues Kriterium für Förderwürdigkeit bringen sie das „Kunst-Milieu“ ins Spiel. Ein Begriff, den wir hier erstmal von allen Vorurteilen und allem Elitären was eventuell mitschwingen könnte reinwaschen müssen, um ihn neu zu definieren. Und definieren soll ihn eben wertneutral und objektiv ein Computer, der prüft, wer dazu zu rechnen ist und wer nicht.
— Erfordert diese Feststellung der Kunstmilieu-Zugehörigkeit, wie sie sie beschreiben, nicht ein hohes Maß an Überwachung?
Überwachung klingt so negativ. Vielleicht sollten wir eher „digitale Begleitung“ sagen. Diese wäre sicherlich in großen Umfang notwendig, würde uns aber befreien von jeglicher Bürokratie. Überwachung wäre, wenn das System sich anschaut, was der einzelne genau macht, wer er ist und warum er das macht? Das interessiert niemanden und sollte auch nie erfasst werden. Außer, wir finden eine KI die herausfindet was Kunst ist. Das scheint mir aber sehr aussichtslos.
Der Algorithmus müsste ja nicht nur das Kunstmilieu „scannen“ (um nicht überwachen zu sagen), sondern auch einen weiteren Kreis der Gesellschaft, um einordnen zu können, wo das Milieu beginnt und wo es aufhört, um daraus wiederum die – wie Sie sagen – oberen und unteren 25 Prozent abzuziehen, die keine Förderung brauchen. Nicht brauchen, weil sie – simpel formuliert – auch so von ihrer Kunst leben können. Es würde nicht unnötig Geld vergeben, das an anderer Stelle gebraucht wird. Gut. Aber gleichzeitig werden am anderen Ende der Skala diejenigen von Fördergeld ausgeschlossen, die unbekannt sind, die Neuen, die Quereinsteiger ohne Namen und Reputation.
— Bräuchten aber nicht genau die Unterstützung? Und was könnten Kriterien sein, um die oberen und unteren 25 Prozent zu ermitteln?
Die Kriterien und Vorgaben für die Algorithmen müssen wir diskutieren. Ich schlage ja nur eine Variante von vielen vor. Hier ein anschauliches Beispiel für meinen Vorschlag: Wenn wir z.B. in der Region Stuttgart 10 wichtige Akteure der bildenden Kunst definieren und dann schauen mit wem diese Kontakte haben – und wer wiederum mit diesen – und so weiter und weiter – ergibt sich eine Netzwerkkarte mit sehr starken Knoten und aber auch Punkten, die kaum Verbindungen haben. Ab einer bestimmten Anzahl an Verbindungen gehört man zum Kunst-Milieu und diese ermittelte Gesamtheit wird wiederum nach der Normalverteilung unterteilt.
Je stärker oder schwächer die Knoten, umso erfolgreicher/neuer im Kunst-Milieu? Das wäre doch schon eine einfache ökonomische Wertung mit der wir die oberen und unteren 25 Prozent errechnen könnten. Wohlgemerkt ohne auf die einzelne Person zu schauen. Es spielt keine Rolle, ob man Kunst macht oder eine andere Funktion hat. Egal ob man z.B. Künstler*in, Kunsthistoriker*innen oder ein Servicepersonal an der Bar ist. Man würde eine Förderung bekommen. Wenn man neu ist muss man sich erst den Status erarbeiten – und nie vergessen: man kann auch wieder aus dem Fördersystem herausfallen.
Abschließend vielleicht noch die etwas prophetische Frage, was passiert, wenn es keine derartige Digitalisierung in der Kunstförderung gibt?
— Sind wir auf dem Weg jede Unabhängigkeit in der Kunst zu verlieren?
Es wird auf jeden Fall eine Digitalisierung der Kunstförderung geben, es ist nur die Frage wie diese Transformation ausgeht? Wir sollten die Strukturveränderungen nutzen um bessere, freiere und fairere Systeme zu schaffen. Das hat sehr viel mit den ökonomischen Grundlagen und Denkmodellen zu tun mit denen wir heute operieren. Ich bin zuversichtlich, dass die Unabhängigkeit immer bestehen bleibt und die Gesellschaft sollte der Kunst diese Unabhängigkeit immer zugestehen. Vertraut der Kunst.
Vertraut der Kunst. Lassen wir das doch direkt als Schlußwort stehen.
Vielen Dank für das Gespräch!