CLAIR BÖTSCHI
Es ist an der Zeit, die Kunstförderung neu zu gestalten und in das Zeitalter der Digitalisierung zu überführen. Dabei sollten wir endlich die Bürokratie minimieren und die Autonomie maximieren. Wie das klappen könnte und warum die Kunst durch ein falsches Verständnis von Förderung an Relevanz verliert, möchte ich hier skizzieren.
Beginnen möchte ich bei einer wesentlichen Grundannahme: Kultur und Kunstförderung sind notwendig und sinnvoll für eine freie und demokratische Gesellschaft. Die Kritik an der Kunstförderung ist alt und nicht neu. Alle Jahre wieder werden die Unzulänglichkeiten des Fördersystems festgestellt. Manchmal gibt es zu viel Geld, manchmal zu wenig und manchmal ist es die Art der Förderung, die in der Kritik steht. Wobei man heute zugutehalten muss, dass es eine noch nie dagewesene Vielfalt von Förderungen gibt; sowohl in der Art als auch in der Gestaltung, aus der öffentlichen als auch der privaten Hand.
Eigentlich gibt es heute eine große Vielfalt von Finanzierungsmöglichkeiten und man sollte meinen, dass die Kunst die besten Entfaltungsmöglichkeiten seit je hat. Dass dies nicht der Fall ist, erfährt man schnell, wenn man quer durch die Republik mit Künstlern und Künstlerinnen spricht, die tief im Fördersystem stecken und zugleich Kritiker und Nutznießer des Ganzen sind. Dabei lassen sich drei Kritikpunkte identifizieren, die immer wieder genannt werden: Bürokratie, Ökonomie, Autonomie. Zugespitzt formuliert: Bürokratie durch (falsche) Ökonomie führt zum Verlust der Autonomie.
Die letzten Jahrzehnte der Kunstförderung waren geprägt von einer zunehmenden ökonomischen Orientierung und einer damit verbunden Denk- und Handlungsweise. Dies lässt sich am offensichtlichsten an der Sprache und der Ausgestaltung von Förderanträgen feststellen: Zielgruppen, Indikatoren, der Nutzen für die Gesellschaft und Wirkungsberichte werden zunehmend gefordert. Letztes Jahr z.B. ließ die Robert-Bosch-Stiftung verlauten, die Kulturförderung, wie das Grenzgänger-Programm, ganz einzustellen zu wollen, um eine wirkungsvollere Förderung zu schaffen. Was allerdings “wirkungsvoller” genau bedeutet, darauf gibt es keine präzisen Antworten. Was dahinter steckt, ist aber der Glaube, dass eine Förderung eine maximale Wirkung entfalten muss, bei minimalem Einsatz von Kapital. Diese Kosten-Nutzen-Logik richtet auch Schaden in anderen Bereichen der Gesellschaft an. Denn was ist der Nutzen von Kunst? Gibt es einen Output, der sich messen und vergleichen lässt? Wie soll Wirkung gemessen werden, wenn ein Kunstwerk unter Umständen erst nach Jahrzehnten seine Kraft entfaltet?
Es gibt darauf, auch wenn man ökonomisch denken will, keine befriedigenden Antworten. Darüber herrscht bei Kunstschaffenden große Einigkeit. Trotzdem versuchen Förderinstitutionen es immer mehr und genauer – mit mehr Wettbewerb, noch mehr Indikatoren und viel mehr Evaluationen.
Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger hat in seinem Buch: Sinnlose Wettbewerbe: Warum wir immer mehr Unsinn produzieren, die Fehler der künstlichen Wettbewerbskultur als Marktersatz offengelegt. In Bereich der Kunst führt das z.B. dazu, dass die Antragsberechtigten eine eigene Antragsprosa entwickeln und ihre Kunstprojekte optimal den Indikatoren anpassen, sowohl bei der Antragstellung als auch bei der Evaluation des Ganzen. Es ist kein Geheimnis, dass alle wissen, was gerade das Trendthema ist und was man nun abhandeln muss, um Geld zu bekommen. Die Wirkung wird schlussendlich in schönen Zahlen heraufbeschworen. Im schlimmsten Fall steht nicht mehr die künstlerische Fragestellung, nicht mehr der Betrachter und auch nicht mehr die Gesellschaft im Vordergrund. Die Förderinstitutionen mit Ihren Indikatoren werden zur Zielgruppe. Es ist nur logisch, dass damit zwar viel Zeitgeist-Relevanz geschaffen wird, aber für mehr reicht die Puste nicht.
Ein aktuelles und wunderbares Kunstwerk, welches die Logik dahinter verdeutlichen kann, ist der SmartBot t.b.a des Stuttgarter Künstlers Fabian Kühfuß: Ein Roboterarm, dem die Puste niemals ausgeht und der mit einem Fitnesstracker unaufhörlich Sport simuliert. Das Ziel ist, die wirkungsvollsten Daten für die Vergleichsindikatoren in sozialen Netzwerken zu schaffen und die Konkurrenz links liegen zu lassen.
Man könnte meinen, dass genau dies auch in der Kunstförderung passiert. Nicht bei allen Programmen, aber bei vielen. Künstliche Wettbewerbe in Kosten-Nutzen-Logik, aus denen die Kunstförderung heute überwiegend besteht, führen nicht zu Effizienz oder Steuerung (im ökonomischen Sinne) und erst recht nicht zu Relevanz, Wahrheitsgehalt oder ästhetischer Sprengkraft (im Kunst-Sinne).
Die so verstandene Kunstförderung führt zu einer Verstärkung des Schismas in der Kunst, welches der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich beobachtet und prophezeit. Auf der einen Seite, die reine ästhetische Kunst, für den Kunstmarkt. Auf der anderen Seite die Kuratoren-Kunst, welche die Qualität des Kunstwerks in der moralischen und politischen Botschaft findet. Damit ist zu befürchten, dass den Künstlern und Künstlerinnen, die nicht dem einen ökonomischen Pol (Kunstmarkt) und auch nicht dem anderen ökonomischen Pol (Kuratorenmarkt) angehören, langsam aber sicher der Atem ausgeht. Die Kunst wird in Zukunft aber nur ihre Relevanz erhalten, wenn eine ausgewogene und verbindende Kunstförderung etabliert werden kann, welche die Autonomie der Kunst fördert.
Die Digitalisierung schafft dafür die Grundlage, wenn wir Algorithmen die Förderentscheidungen überlassen. Nun braucht ein Algorithmus Daten und eine Handlungsvorschrift um Entscheidungen zu treffen. Der Philosoph Matteo Pasquinelli formuliert das so: Algorithmen machen im Prinzip nur zwei Dinge: Muster finden und Abweichungen von Mustern aufdecken. Da stellt sich die Frage, welche Daten haben wir, welche Muster können wir erkennen und was ist die Entscheidung? Können wir das Muster der Kunst erkennen? Oder noch besser – das Muster der “guten” Kunst, die förderwürdig ist?
Diese Überheblichkeit ist ein Irrweg, der im digitalen Kapitalismus gerne gemacht wird, der nur zu selbsterfüllenden Prophezeiungen führt und die Zukunft determiniert. Dass die Kunst nicht definierbar ist und immer wieder das Neue, das Andere eingegliedert wird, muss nicht erwähnt werden. Die Digitalisierung kann also, wenn wir den heutigen ökonomischen institutionalisierten Denkrahmen übernehmen, das Gegenteil der Autonomie bedeuten. Das Wissen darum, was Kunst ist, ist den Menschen schon länger verlustig gegangen und eine Maschine wird das nicht lösen. Egal, wie viele Daten wir erfassen.
Was wir aber können ist, die Daten darauf zu untersuchen, ob jemand zum Kunstmilieu gehört oder nicht. Denn auch wenn Kunstschaffende meinen, sie seien einzigartig, in ihrer Zugehörigkeit zum Kunstmilieu sind sie es nicht. Man besucht Ausbildungsstätten der Kunst, geht zu Orten der Kunst (Museen, Messen, Vernissagen, etc.) und trifft sich mit anderen Menschen der Kunst. Selbst wenn man nicht dazugehören will und rebelliert, wird man doch von der Kunstwelt inhaliert. Das Kunstmilieu reproduziert sich kontinuierlich selbst. So wird es in Zukunft keine Kunst sein, aus den Metadaten, die jetzt schon gesammelt werden, herauszulesen, ob eine Person kunstschaffend ist oder nicht. Dies wäre methodisch angelehnt an die soziale Netzwerkanalyse aus der empirischen Sozialforschung. Die Künstlersozialkasse macht heute verkürzt und analog nichts anderes. Wir werden nur noch viel mehr Daten haben, die sich autonom auswerten lassen. Wenn wir nun verstanden haben, dass wir die Förderentscheidung von den ökonomischen Kriterien befreien müssen (keine Kosten-Nutzen-Logik, kein Name und auch keine künstlerische Idee braucht eine Rolle zu spielen), sondern die Förderentscheidung nur nach dem Kriterium treffen, ob jemand zum Kunstmilieu gehört oder nicht, dann kommen wir der Maximierung der Autonomie schon ziemlich nahe.
Damit würden wir dann auch das Problem beheben, dass zur Kunst nicht nur Künstler und Künstlerin gehören, sondern ein ganzes Kunstmilieu, wie der Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen in einer Rede zur Festwoche zum 250. Jubiläum der HFBK Hamburg konstatierte. Auch die Tätigkeiten des Kunstmilieus, die aus Relevanz und Wertzuweisungen bestehen, würden optimalerweise gefördert werden.
Das bedeutet aber, dass wir allen, die zum Kunstmilieu gehören, eine Förderung zugutekommen lassen – und damit wären wir sehr nahe an einer Art Grundeinkommen für Kulturschaffende, wie es gerade in der Corona-Krise verstärkt gefordert wurde. Vielleicht wäre das für die Kunst das Paradies auf Erden? Eher nicht, denn wir wollen die Erkenntnis nicht vergessen: Ein wenig Angst und Arbeit schadet nicht. Idealerweise würde der Algorithmus doch eine ökonomische Bewertung vornehmen und versuchen die oberen 25 % und die unteren 25 % des Kunstmilieus von einer Förderung auszuschließen (nach einer Standard-Normalverteilung). Das heißt, die Erfolgreichen und die, die gerade erst in das Netzwerk aufgenommen werden, fallen raus. Wobei die Grenze diffus ist und es optimalerweise keine Sicherheit gibt. Die radikale Folge wäre, dass die Kunstproduktion erst einmal autom ist, auch von der Kunst selbst, sofern man zum Kunstmilieu gehört. Es wäre spannend sich zu überlegen, was mit der Relevanz- und Wertzuweisung passieren würde? Hätten wir bald zu viel Kunst? Mehr Kunstabfall? Sollten wir die Größe des Kunstmilieus begrenzen, um einen klaren Kostenrahmen für die Gesellschaft zu definieren? Es ist zumindest anzunehmen, dass die Kunst einen längeren Atem haben würde und der ökonomische Druck nachließe.
Unbedingt müssten wir diskutieren, was die Definition von “erfolgreich” im Kunstmilieu bedeutet, ohne nur einseitig auf den Kunstmarkt, den Kuratorenmarkt oder abseits davon zu schauen. Die Digitalisierung kann uns befreien und es wird Zeit, dass die Künstler und Künstlerinnen über den institutionellen Rahmen der Kunstproduktion, das Fördersystem sprechen und ihn in ihrem Sinne neu definieren. Hierzu gehört es, die Beziehung zwischen der Kunst und den Geldgebern (die häufig extern sind) zu beleuchten und den zunehmenden Rechtfertigungsdruck zu hinterfragen.
Denn durch die schleichende Ökonomisierung der Kunstförderung und den Versuch die Kunst vergleichbar, verfügbar, berechenbar, förderbar zu machen, geht die Berührung durch das unverfügbar Andere der Kunst verloren. Die Relevanz oder Resonanzfähigkeit, wie der Soziologe Hartmut Rosa sagen würde, wird weiter abnehmen und damit ja gerade das, was die Gesellschaft in der Kunst zu suchen scheint. Die Digitalisierung der Kunstförderung könnte den Verlust beschleunigen oder aber einen dauerhaften unverfügbaren, autonomen und kontradiktorischen Kosmos im digitalen Kapitalismus schaffen. Es ist an der Zeit unterschiedliche Ideen für eine bessere Kunstförderung zu diskutieren und eine positive digitale Zukunft zu schaffen.
Herr Clair Bötschi, 2020
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